Technologie-Angst im Kontext: Kein Grund zur Panik!

Dank Jeff Jarvis wurde ich gestern auf einen sehr spannenden Essay mit dem Titel „Techno-Panic Cycles (and How the Latest Privacy Scare Fits In)“ gestoßen.

Darin wird, kurz gesagt, die Angst um Privatsphäre der letzten Jahre in einen größeren Kontext der „Technologiepanik“-Zyklen gestellt.

Technologiepanik wird dort so definiert:

“A moral panic occurs when a segment of society believes that the behavior or moral choices of others within that society poses a significant risk to the society as a whole.” By extension, a “techno-panic” is simply a moral panic that centers around societal fears about a specific contemporary technology (or technological activity) instead of merely the content flowing over that technology or medium.

Die Geschichte der Technologiepanik-Zyklen wird über Internetpornografie in den 90ern bis zu Musikvideos in den 80ern zurückverfolgt, was ich insofern interessant finde, als dass es dort ja noch lange nicht aufhört. In dieser wunderbaren Zitatesammlung geht es zwar eher um allgemeine Technologieskepsis bis zurück zum Teleskop, einige Goldstücke wie dieser aktionistische Aufruf des US Kongress von 1875 sind aber auch dabei:

Horseless carriages propelled by gasoline might attain speeds of 14 or even 20 miles per hour. The menace to our people of vehicles of this type hurtling through our streets and along our roads and poisoning the atmosphere would call for prompt legislative action even if the military and economic implications were not so overwhelming…

Wie auch in aktuellen Debatten um Privatsphäre und Jugendschutz geht es also vor allem um eine vorschnelle Regulierung einer noch neuen Technologie.

Einen noch älteren Aufruf, überladen von moralischen Ängsten vor den neuen Möglichkeiten, finde ich sonst nur bei Platon, der ca 360 v.Chr. das Aufkommen des geschriebenen Wortes als Anlass nahm, vor Vergesslichkeit, Oberflächlichkeit und letztlich Kontrollverlust zu warnen.

Aber zurück zu den Zyklen. Laut Essay ist es zu beobachten, dass diese Technologiepaniken wellenweise um das Auftreten von neuen Techniken herum auftreten, wenn diese zum ersten Mal einer größeren kritischen Öffentlichkeit bekannt werden. Außerdem würden sich die Paniken irgendwann weitestgehend von selbst auflösen, da entweder die Aufklärung gegen die Angst gewinnt oder einfach das nächste Angstthema die vorige Diskussion absorbiert.

Interessant und hoffnungsspendend ist nun die Theorie, dass diese Zyklen immer kürzer werden. Obwohl ich geneigt bin, dem zuzustimmen, hängt diese Einschätzung schon sehr davon ab, wie man die Themengruppen zusammenfasst. Die Debatten um Google Streetview oder Kinderpornographie im Internet dauerten jeweils kaum mehr als einige Monate, als Teil der „Freies Internet“-Thematik dauert die Diskussion aber schon seit Jahren an.

Auch die Post-Privacy-Themen wie „Browser Cookies“ — die Adam Thierer hier lustigerweise zusammen mit „Kids Privacy“ bereits seit 10 Jahren für beendet erklärt — oder das aktuellere „Web Tracking“ lassen sich auf dieser Zyklenachse darstellen.

Und wozu das nun alles? Der Autor entlässt uns mit dem Versprechen, dass die Technologiepanik uns so bald nicht verlassen wird, dass der Mensch aber glücklicherweise so anpassungsfähig ist, wegen solchen Neuerungen nicht unterzugehen.

The amazing thing about humans is that we adapt so much better than other creatures. When it comes to technological change, resiliency is hard-wired into our genes.  “The techno-apocalypse never comes,” notes Slate’s Jack Shafer, because “cultures tend to assimilate and normalize new technology in ways the fretful never anticipate.”

A healthy dose of humility, patience, personal responsibility, and good ‘ol common sense will usually get us through these things. Quite literally, there is no need to panic!

Diesem optimistischen Fazit kann ich mich nur anschließen.

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7 Antworten zu Technologie-Angst im Kontext: Kein Grund zur Panik!

  1. fasel schreibt:

    Die erwähnte »vorschnelle Regulierung« ist etwas, was mich zur Zeit am politischen Prozess sehr stört. Da werden viele von Panik (bzw Populismus) getriebene Gesetze erlassen, über Dinge die man nicht begreift und auch kaum begreifen kann, weil sie so schnell im Wandel sind. Dadurch werden aber unnötig starke Hürden errichten, die dann starke Schmerzen in der gesellschaftlichen Entwicklung verursachen (Stichwort Zensursula oder Urheberrechtskörbe). Oder man versucht mit längst überholten Datenschutzgesetzen eine Entwicklung einzufangen, deren Konsequenz in Form von Kontrollverlust und Post-Privacy schon absehbar ist.

    Mir bereiten diese Reibungspunkte einige Sorgen, aber vielleicht sollte ich mich eher entspannen, denn die Entwicklung der Gesellschaft wird auf ein paar doofe Gesetze keine Rücksicht nehmen.

    „Don’t panic“ gilt also für beide Seiten und ist ohnehin ein guter Ratschlag 🙂

  2. WEBKNIGGE schreibt:

    Hallo Spackeria,

    grad auf Fritz Trackback gehört.
    Finden wir gut und supporten Eure Aktion.

    Spacken united und don´t belive the hype.
    Webknigge
    http://www.webknigge.net

    P.S.:
    hier schon eure site gespreaded: http://www.facebook.com/webknigge

  3. BrumBrumBrum schreibt:

    Naja, dass es Konservatismus gibt überrascht ja nun nicht wirklich.
    Die Anekdoten sind nett, aber genauso banal wie das Fazit, dass die Menschheit schon nicht aussterben wird.
    Die Frage ist doch wie man damit umgeht. Nicht zuletzt profitiert auch die Spackeria von einem Hype um ein Thema. Denn zum Glück ist doch die Medienlandschaft so ausdifferenziert, dass es immer Für- und Wider-Stimmen gibt und natürlich auch immer die (wie hier), die sagen, dass es sich gerade nur um einen Hype handelt. Interessant wird’s dann ja, wenn noch ein paar Sätze folgen in denen z.B. analysiert wird, dass weder diejenigen die irrationale Angst um Heim und Hof haben wenn das Google-Auto vorbei fährt, noch die, die wie die Irren durch die Straßen laufen und Hauswände fotografieren und sich dabei voll Anti-Mainstreamig vorkommen, die Wahrheit kennen, man die Entwicklung aber interessiert und kritisch verfolgen muss.

    • cfritzsche schreibt:

      Deinem Fazit kann ich mich anschließen.
      Die Wahrheit kennt sowieso niemand. Mit meinem Beitrag wollte ich zeigen, dass es eben genau das ist: Ein Hype. Für mich war das schon ein Erkenntnisgewinn und für so einige Datenschützer im Land wäre es wohl eine wertvolle Lektion.

      Wie man damit umgeht bzw. wie man das findet ist ja im Endeffekt das Thema dieses Blogs. Fritten hat gestern einen sehr schönen Beitrag zur Herleitung der Post-Privacy Idee aus einem sehr weiten Öffentlichkeitsbegriff geschrieben.
      Es ist mehr so ein Prozess. 😉

  4. Pingback: Datenschutz im Internet — Quo Vadis? | Die datenschutzkritische Spackeria

  5. adrianoesch schreibt:

    „dass der Mensch aber glücklicherweise so anpassungsfähig ist, wegen solchen Neuerungen nicht unterzugehen.“

    diese aussage halt ich für falsch. nicht, dass der mensch nicht anpassungfähig wäre, aber im zusammenhang mit technologie passiert eben das umgekehrte. der mensch passt seine umwelt an sich an. ich benutze eben ein telefon, dass ich nicht zu meinem freund gehen muss, um ihm etwas mitzuteilen. ich sehe diese umkehrung als ein grundlegendes prinzip des menschen, was ihn grösstenteils von tieren unterscheidet. die aussage ist vielleicht insofern richtig, dass ein teil der menschheit sich den technologischen änderungen ausgesetzt sieht und sich deswegen anpassen muss, aber ich glaube nicht, dass diese bedeutung beabsichtig war. oder?

    PS: gutes blog (via mspro, draufgestossen)

    • cfritzsche schreibt:

      Du hast teilweise Recht. Der Mensch schafft Werkzeuge für seine Zwecke. Wo er kann, passt er sie an. Du siehst aber, dass sich aufgrund von Technologie unser Verhalten als Individuum und als Gesellschaft ändert. Z.B. hätte ich mich, um über dieses Thema zu diskutieren, vor 50 Jahren mit dir getroffen, statt hier so komisches Zeug zu schreiben. Unser Verhalten hat sich durch Facebook und Twitter geändert. Ändern wir deswegen die Technologie? Nein, wie passen uns an.

      PS: Danke schön 🙂

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