Protest 2.0 – Ein Interview

Im Rahmen einer Bachelorarbeit zum Thema „Protest 2.0“ wurde @fasel um ein Interview gebeten. Die von ihm und mir verfassten Antworten möchten wir euch nicht vorenthalten.

Protest 2.0 wird dabei auf Nachfrage durch die Autorin so definiert:

Kannst du mir noch eine Definition von „Protest 2.0“ geben? Sind die  Nordafrikarevolutionen da mit inbegriffen oder wo grenzt er sich ab?

Eine richtige Abgrenzung gibt es nicht. Proteste, die sich aussschließlich im Internet abspielen gibt es ja eigentlich nicht. Meistens werden die Proteste durch Online-Maßnhamen ergänzt (Online-Petionen etc.) oder organisiert. Aber es gibt natürlich Aktivisten, die ihren Beitrag auf Online-Maßnahmen beschränken.
Ein Thema ist dann natürlich auch Anonymous, aber selbst da gab es ja auch Proteste auf der Straße.
Also Ja die Nordafrikarevolutionen fallen auch unter das Thema Protest 2.0.

Hier also die Fragen und Antworten:

 1) Wann und warum wurde die Spackeria gegründet?

Die Spackeria entstand als spontane Idee in der Nacht vom 18. Feb. 2011, nachdem sich ein Kreis von Leuten auf Twitter zusammengefunden hatte, welche die aktuellen Entwicklungen rund um den Datenschutz kritisch sehen.

Stein des Anstoßes war dieser Vorstoß des Landesdatenschützers für Niedersachsen, der einen privaten Forenbetreiber anging, weil das eingesetzte Google AdSense IP-Adressen in die USA übermitteln würde.

Der Name leitet sich ab vom Begriff „Post-Privacy-Spackos“, den Constanze Kurz, Pressesprecherin des Chaos Computer Clubs, auf dem 27. Chaos Communication Congress als Bezeichnung für Leute prägte, die nicht nach ihren Datenschutzmaßstäben leben. Ein bisschen Selbstironie a la „Kritische Hipster“ steckt wohl auch drin.

Die inhaltliche Arbeit der Spackeria besteht in der kritischen Betrachtung der aktuellen Ereignisse um den Datenschutz, die verstärkt regulative Tendenzen gegen den Bürger und die Privatwirtschaft aufweisen. Die ursprüngliche Idee — Schutz gegen den Staat — gerät ins Hintertreffen. Es werden ein paar grundsätzliche Dinge hinterfragt und zur Diskussion gestellt, besonders im Hinblick auf die zunehmende Vernetzung und soziale Interaktion der Menschen über das Internet. Eine Umwälzung der Kultur und Gesellschaft ist im Gange und die Datenschutzgesetze sind nicht nur weit abgehängt, sie werden zunehmend auch zur Bedrohung der Freiheit im Internet.

 2) Was ist deine Funktion bei der Spackeria?

Es gab von Anfang an bewusst keine feste Rollenaufteilung oder Hierarchien in der Gruppe. Ebenso ist die Spackeria keine fest abgrenzbare Gruppe mit homogener Meinung. Funktionen und Rollen werden bei Bedarf eingenommen. Zugang zum Blog oder Twitteraccount werden (im gewissen Rahmen) auf Zuruf vergeben. Genauso wird gegenüber Medien die Sprecherrolle frei vergeben.

Die Organisationsform und Infrastruktur ist hier bewusst an das Aktivistennetzwerk „Telecomix“ angelehnt, die wiederum Anleihen aus Anonymous-Strukturen haben. Inhaltliche Überschneidung gibt es allerdings nur äußerst geringe.

 3) Bei dem Thema Protest 2.0 spielt Anonymität und Datenschutz eine große Rolle. Ist den Leuten bewusst was Sie alles von sich preisgeben?

Das kommt ganz auf die Art des Protestes an. In einer relativ offenen Gesellschaft ein System zur öffentlichen Meinungsäußerung (z.B. e-Petitionen) zu nutzen, bringt die wenigsten Menschen dazu, über Anonymität nachzudenken, weil sie kaum Repressalien fürchten müssen.

Wählt man als Mittel des Protests jedoch unerwünschtere Methoden wie z.B. die DDoS-Attacken im Rahmen von Operation Payback, ist den Beteiligten die Gefahr eher bewusst. Dementsprechend wird bei der Kommunikation auf Anonymisierung geachtet (durch Tor). Interessanterweise wird beim Angriff selbst (durch LOIC) auf technische Anonymität verzichtet, man verlässt sich vielmehr auf den Schutz der Masse („Sie können ja nicht alle verfolgen“). Im Grunde ist die gleiche Logik die hinter Protesten auf der Straße steht.

Während Anonymität als Schutz vor Repressalien eine ernorm wichtige Aufgabe erfüllt, findet echter gesellschaftlicher Umschwung nur statt, wenn eine kritische Masse aus der Privatheit heraustritt und als Person auf Missstände hinweist und seine Meinung offen vertritt bzw. als Identifikationsfigur dient. Als Beispiel seien hier die wenigen öffentlich bekannten Köpfe der Protestbewegungen in Tunesien und Ägypten genannt: Slim Amamou und Wael Ghonim.

 4) Spielt Datenschutz im Zusammenhang mit politischen Themen noch eine größere Rolle als sonst?

Der Schutz von Daten ist im politischen Kontext nicht per se wichtiger als in anderen Situationen. Repressionen oder Benachteiligungen persönlicher oder gesellschaftlicher Art können durch alle Arten von Meinungen, Verhaltensweisen oder Krankheiten verursacht werden. Datenschutz ist in diesen Kontexten meist nur eine Symptombehandlung. Gerade in politisch unruhigen Zeiten, aber auch generell, muss man sich bewusst sein, was mit Daten über einen möglich ist und wer Zugriff hat. Im Zweifel muss man davon ausgehen, dass alles potenziell öffentlich ist, auch wenn man sich in einer geschlossenen Gruppe bewegt. Letztlicht muss man selbstbestimmt zwischen möglichen Risiken (Repression) und Chancen (Umschwung) abwägen.

 5) Was sollte sich deiner Meinung nach im Bezug Datenschutz in Zukunft ändern?

Da die Digitalisierung unseres Lebens immer weiter voranschreitet und selbst Revolutionen in 2011 über das Internet organisiert werden, wird die Situation des Internets auf das ganze Leben übertragen. Das betrifft auch die faktische Abwesenheit von Persönlichkeits- und Datenschutzkontrolle.

Der Schutz der eigenen Daten wird in Zukunft immer weniger von zentralen Institutionen oder Fürsorgern gewährleistet werden können. Jedem Einzelnen muss daher seine eigene Rolle im Datenschutz klarer gemacht werden. Dies ist eine aufklärerische Aufgabe.

Zudem sollte die Gesellschaft über den Nutzen von Daten offener diskutieren. Die aktuelle Debatte, besonders in Deutschland, ist deutlich von Überreaktionen und Angst gekennzeichnet. Um dem Individuum eine Einschätzung der Folgen seiner Datenweitergabe zu ermöglichen, muss neben den negativen Folgen auch der Nutzen von Datensammlungen beleuchtet werden.

Die Datenängste dürfen nicht dafür sorgen, dass wir das Internet überregulieren und wir uns damit selbst der Möglichkeiten berauben, die noch kommen werden. Um die Regulierung wird gerungen, aktuell in der G8 und ‚privacy‘ ist da einer der Hebel. Auch bei uns auf nationaler Ebene zeichnen sich regulative Tendenzen mit dem Datenschutzhebel ab. Unser Datenschutzgesetz ist veraltet und die Reformbedürftigkeit ist unbestritten. Bei der Neugestaltung der Regeln, die das Internet betreffen, sollte tunlichst darauf geachtet werden einen möglichst großen Freiraum zu erhalten. Wir sind bislang mit Selbstregulierung und selbstbestimmten Umgang mit den Daten gut gefahren und sollten das nicht ohne Not ändern.

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