Diese Woche gab es mal einen echten Daten- und Überwachungsskandal. Sächsische Behörden haben in großen Stil in Dresden Bürger, die sich gegen Aufmärsche von Faschisten engagierten, überwacht und gegen sie ermittelt. Details und Ausmaß kann man exemplarisch diesen Artikeln entnehmen:
- Demo-Überwachung per Mobilfunk — Mal eben ausgespäht
- Flächendeckende Bespitzelung
- Fragebögen an die Busfirmen
Die Vorfälle zeigen einmal mehr, dass die Gefahren vom Staat ausgehen und Regulierung und Kontrolle — auch aus Datenschutzsicht — vornehmlich dort ansetzen muss.
Dann war da noch:
- Die kalifornische Ideologie — Wiedergeburt der Moderne? Extrem lesenswerte Beschreibung aus 1997 über eine Ideologie die eine „widersprüchliche Mischung aus technologischem Determinismus und liberalem Individualismus“ ist. Sie entsprang aus der Hippie-Bewegung und der High-Tech Industrie des Silicon Valley und orientiert sich an Visionären wie Marshall McLuhan. Sehr viele Betrachtungen, wie gesellschaftlicher Wandel durch freien Zugriff auf Informationen und staatlicher Regulierung und Förderung, sind heute größtenteil noch gültig, wenn auch sich einges, nach dem Platzen der dotcom-Blase, heute anders darstellt. Ausführlich eingegangen wird auf soziale Ungleichgewichung zwischen gebildeten, weißen Schichten und schwarzen und lateinamerikanischen, woraus wiederrum eine »Apartheid zwischen „Information-rich“ und den „Information-poor“« enstand. Zum Schluss wird unter dem Machtaspekt der privilegierten „virtuellen Klasse“ auch der Posthumanismus angerissen. Während die Sozialkritik durchaus valide ist, wird dann das staatliche ‚Minitel‘ (ähnlich BTX) als Gegenmodell für ein unreguliertes Netz angeführt. Die Forderung an den Staat, die sozialen Unterschiede durch Ermöglichung des Zugangs zum Netz für alle, abzubauen, ist heute noch akutell.
- Die Phantasien über das Internet schlingern zwischen Utopie und Paranoia — Mystik der neuen Medien Ebenfalls ein Beitrag von 1997, der ein Überblick über die Utopien des ausklingenden Jahrtausends verschafft. Die Entstehung einer neuen öffentlichen Sphäre wird dort auch angesprochen.
- Postpostprivacy – Teil 1 Thorsten Roggendorf beschreibt hier sehr gut die Akteure und Standpunkte in der aktuellen Datenschutzdebatte. In Teil 2 beschreibt er eher „interessante“ Sachen um Transparenz für alle zu erreichen.
- Kontrollverlust oder Kontrolltransformation? Arne Krüger empfindet angesichts der neuen Öffentlichkeiten im Netz den Kontrollverlust eher als Kontrolltransformation und ruft zu mehr Experimentierfreudigkeit auf.
- Ausschließlichkeitsrechte an Informationen Simon Möller fasst im Telemedicus zusammen, in welchen Kontexten der Staat Informationsflüsse einschränkt, und warnt vor „Chilling Effects“, wenn man sich an ausufernde Persönlichkeitsrechte zur Informationskontrolle gewöhnt.
- RLP will Jugendliche für Datenschutz im Internet sensibilisieren – outdated? Aus Rheinland-Pfalz kommen Gedanken, wie Medienkompetenz im Bildungssystem richtig vermittelt werden kann. Oberlehrerhaft auf jeden Fall nicht.
- 112th Privacy Legislation Der US-Kongress arbeitet aktuell an einer kompletten Neufassung des Datenschutzgesetzes. Hier werden die aktuellen Entwürfe und Vorstöße kurz vorgestellt.
- What about us? – Die Antiquiertheit des “Humanisten” Über die Rolle von Technologie und im Speziellen Algorithmen, in der heutigen Gesellschaft. Technologie setzt sich nicht dem Menschen entgegen, sondern ist eine Erweiterung von ihm und ermöglicht ganz neue Freiheiten.
- Michael Seemann Schreibmaschine Die Sozialtheoristen greifen ein Teil der Argumentation kritisch auf; auch lesenswerte Beiträge in den Kommentaren.
- Sousveillance: A New Era for Police Accountability Was die Allgegenwärtigkeit von Kameras und daraus resultierende Transparenz für die Exekutive bedeutet und dass es eine deutliche Machtverschiebung zum Bürger hin ergeben kann.
- Die Privatsphäre ist tot – lang lebe die Privatsphäre! Gegenrede zur postulierten Entwicklung Richtung Postprivacy.
- Soziale Netzwerke : Die Macht von Facebook wird überschätzt Die WirtschaftsWoche über die Macht von sozialen Netzen und den Wert der enthaltenen Daten.
- Upending Anonymity, These Days the Web Unmasks Everyone Über das Ende der Anonymität durch die Allgegenwärtigkeit von Kameras in Verbindung mit Crowdsourcing in sozialen Netzen.
Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, ob nun von Staat, Versicherungen, mobbenden Kollegen oder Abzockern. Willkommen im sittsamen Postprivacywonderlandland, wo alle immer lachen und liken und ganz viel quatschen wollen.