Nicht „Soll“ sondern „Ist“

Nachdem ich nun in vielen Kommentaren hier oder auf Twitter gesehen habe, dass sowohl die Ziele „der Spackeria“ als auch das Projekt selbst gerne und häufig missverstanden werden, ist die Konsequenz diese kurze Beschreibung meines persönlichen Weges zur Spackeria. Vielleicht gelingt es auf diesem Wege, einige ganz typische Vorurteile aus dem Wege zu räumen, um eine konstruktivere Auseinandersetzung zu ermöglichen.

Ich bin zu jung um die Volkszählung in Deutschland 1987 und die Kämpfe um sie herum bewusst miterlebt zu haben, die Konsequenzen aus der deutschen Geschichte und eben auch der Volkszählung hingegen waren kaum zu ignorieren: „Datenschutz“ ist in Deutschland ein unumwunden positiv besetzter Begriff, Kritik an ihm kam in meiner Jugend vor allem aus der rechten Law&Order Ecke („Datenschutz ist Täterschutz“), die ich eh nicht wirklich für relevant betrachtet habe.

Später habe ich dann Informatik studiert und war in dem Kontext auf immer wieder mit dem Datenschutzthema befasst, habe Initiativen unterstützt, die sich mit Datenschutz für Studierende beschäftigten, usw. Datenschutz war mir immer als etwas a priori Gutes klar und aller Input um mich herum hat sich in diese Denkweise eingereiht.

Ich trat dem CCC bei, war empört, wenn irgendwo Kundendaten missbraucht wurden, kritisierte plomlompom und seine post-privacy thesen auf dem 25C3 und war insgesamt ein braver Datenschützer der Facebook und Konsorten als böse Anti-privacy Bewegung verstanden, bei der die armen Nutzer dazu verleitet würden, ihre Daten abzugeben.

Nun werden sich einige fragen, was denn zwischendrin bei mir schief gegangen ist. Warum schreibe ich nun hier? Nun das ganze lässt sich sicherlich nicht auf ein Schlüsselelement zurückführen, bis auf die Tatsache, dass ich ein Wissenschaftler bin.

Es begann mit der Auseinandersetzung mit DRM Technologien, von deren konzeptionellen Versagens ich schnell überzeugt war und bis heute bin. Aus dieser Überzeugung erwuchs das Verständnis, dass Datenschutz technologisch nicht lösbar ist, da eben auch nur wieder Daten schwieriger kopierbar gemacht werden sollen.

Und so schrieb ich mal nen Text zu DRM und schickte ihn an die Spackeria ausgehend davon, dass er dort bezüglich der Theorie redigiert und genommen oder abgelehnt würde. Im Gespräch wurde mir dann erst so richtig klar, was heute auch vielen Menschen schwer verständlich zu sein scheint: Die Spackeria ist eben kein homogenes Konstrukt aus Menschen, die alle auf einer klaren Theorie aufsetzen, sondern ein Projekt aus einzelnen, die sich inhaltlich und kritisch mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen und keineswegs „eine klare Linie“ haben. Es wurde nur (in teilweise sogar unabhängig voneinander) ein Problem erkannt, mit dem es sich nun zu beschäftigen gilt, auch wenn die Vorstellungen teilweise durchaus nicht deckungsgleich sind.

Mein Engagement innerhalb der Spackeria ist deshalb keineswegs das eines Missionars, welcher seine Ideologie der Welt schmackhaft zu machen sucht: Post-privacy ist für mich immer noch nicht das „Soll“, die Heilsutopie, meine Datenschutzkritik ist eine Beschreibung des ist-Zustandes. Wenn Datenschutz konzeptionell funktionieren würde wäre das sicher super, genauso wie es toll wäre wenn Heilung durch Wasser trinken (Homöopathie) funktionieren würde, tut es aber beides nicht.

In der Hinsicht ist die Spackeria für mich zu tiefst aufklärerisch im kant’schen Sinne:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“

Unsere Unmündigkeit bleibt so lange bestehen, wie wir Datenschutz nicht mehr kritisch reflektieren und die Probleme mit der Ideologie benennen, Datenschutz zum Dogma erhöhen und die Kritiker der Ideologie diffamieren.

Und deshalb bin ich Teil der Spackeria.

Über tante

Sociotechnologist, writer and speaker working on tech and its social impact. Communist. Feminist. Antifascist. Luddite.
Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten zu Nicht „Soll“ sondern „Ist“

  1. Webpassivist schreibt:

    +1

  2. Pingback: Matthias Pfützner's Weblog » Was mir an der Spackeria nicht gefällt…

  3. Sven Türpe schreibt:

    Aus dieser Überzeugung erwuchs das Verständnis, dass Datenschutz technologisch nicht lösbar ist, da eben auch nur wieder Daten schwieriger kopierbar gemacht werden sollen.

    Technische Lösungen sind auch nicht gefordert. Aus der Sicht einer Organisation ist Datenschutz ein reines Compliance-Problem: die Organisation muss die formalen Vorgaben formal in dem Maße einhalten, das zur Vermeidung von Schäden (Bußgelder, verlorene Schadenersatzprozesse usw.) erforderlich ist. Haben Maßnahmen dazu keinen Zusatznutzen für die Organisation, so wird sich die Investition am Schadensrisiko orientieren. Solange die Aufsichtsbehörden keine Websites wegen der Verwendung von Google Analytics schließen, ist dieses Risiko gering. Gering bleibt damit auch die Investition. Eine rational handelnde Organisation wird ihre spezifischen Datenschutzbemühungen auf Formalia beschränken, d.h. einen Datenschutzbeauftragten bestellen (diese Rolle kann man outsourcen), Policies verfassen und die Kunden alle nötigen Erklärungen unterschreiben lassen. Ferner wird sich eine solche Organisation ein IT-Sicherheitsmanagement geben, das die Gefahr von Datenpannen reduziert. Der Nutzen des Sicherheitsmanagements ist aber schon nicht mehr durch die Anforderungen des Datenschutzes getrieben.

Hinterlasse einen Kommentar