Es geht um Vertrauen

Sascha Lobo hat heute bei SpiegelOnline einen interessanten Beitrag veröffentlicht. Unter der Überschrift „Facebook kollidiert mit dem Grundgesetz“ fordert er auf Basis von Facebook’s jüngstem Chat-Fuckup ein im Internet gültiges „Telemediengeheimnis“. (Ruhig erstmal Herrn Lobo lesen, die Zeit ist, wir warten hier so lange).

Was hat Facebook getan? Sie haben zugeben müssen, dass sie die Chatnachrichten der Nutzer mitlesen und auf bestimmte Muster untersuchen. Dabei ist diese Untersuchung nicht nur zur besseren Auswahl von Werbung gedacht (was viele vielleicht noch akzeptiert hätten): Facebook versucht beispielsweise Straftäter, die sich an Kinder ranmachen, anhand des Chatverhaltens zu erkennen und dann an die Polizei zu melden.

Hier gehen alle Alarmglocken an: Ein Kommunikationsanbieter filtert Inhalte und „verrät“ seine Nutzer an die Polizei. Einen größeren Fehltritt kann man sich als Chatanbieter eigentlich nicht leisten.

Ich stimme hier durchaus mit vielen Menschen überein: Facebook hat diese Situation völlig verbockt und ich frage mich, wie sie auf die Idee kommen konnten, dass das etwas ist, was ihre Nutzer ihnen verzeihen würden. Doch ich sehe das ganze nicht als ein Privacy- sondern als ein Vertrauensproblem.

Wenn zwei Personen (Alice und Bob) kommunizieren wollen, dann geht das immer über ein Medium. Wenn sie direkt miteinander sprechen, ist das Medium die Luft im Raum zwischen ihnen. Das Medium kann aber genausogut ein Brief sein oder eine Internetverbindung.

Die Kommunikation ist dabei nur maximal so vertrauenswürdig wie das Medium, welches die Kommunikationsdaten trägt. Deshalb entfernt man sich, wenn man Geheimnisse austauschen will, von anderen: Die Luft trägt Schall nur begrenzt weit und je weiter man von Menschen weg ist, desto geringer die Wahrscheinlichkeit der Belauschung. Mit Luft und Raum können wir gut umgehen, wir wissen, wie weit wir ihr trauen können.

Bei Briefen haben wir den Vorteil des Umschlags. Nicht nur sagt uns die Post, dass sie nicht in Briefe reingucken, sondern der unverletzte Umschlag ist uns „lebender“ Beweis der intakten Kommunikationsvertraulichkeit (Briefe aufmachen, ohne, dass das sichtbar wird, ist immer noch nichttrivial).

Im Netz ist es schwieriger. Eine unverschlüsselte Kommunikation kann von jedem Knoten zwischen Alice und Bob mitgehört werden. Das ist natürlich blöd. Entweder Alice und Bob nutzen kryptographische Verfahren wie PGP oder sowas und versuchen sich so selbst die Kommunikation zu sichern oder sie verlassen sich auf einen vertrauenswürdigen Infrastrukturanbieter.

Leider ist der erste Fall sehr selten (weil Kryptographie meist bestenfalls hakelig zu bedienen ist) so kommt dem zweiten Fall eine besondere Bedeutung zu.

Facebook bietet seinen Nutzern Chats an auf eine bequeme und integrierte Art und Weise. Nun haben sie klar gemacht, dass sie die Kommunikation aber nicht vertraulich behandeln (noch nicht mal semi-vertraulich im Sinne von „Wir nutzen das Mithören nur um bessere Werbung zu zeigen, geben die Daten aber nicht an dritte“). Facebook hat damit das Vertrauen in sich als Infrastrukturanbieter für private Chats vollständig zerstört.

Facebook Chat war nie privat, denn zwischen Alice und Bob stand immer Facebook und lieferte wie die stille Post die Nachrichten von Alice zu Bob und zurück. Man kann ihnen jetzt nur nicht mehr vertrauen, dass sie es für sich behalten. Und das ist das Problem hier.

Ich denke auch nicht, dass uns ein Gesetz an dieser Stelle hilft: Sicherlich kann man ein solches Gesetz schreiben und alle Anbieter verpflichten, 1zu1 Kommunikation nicht nach außen weiterzuleiten, doch ist der Bruch dieses Gesetzes oft kaum feststellbar: Digitale Kommunikation hat keine Briefumschläge, deren Öffnung man einfach feststellt. Die Daten zu kopieren und abzuzweigen kostet nicht mal merklich Zeit.

Alles was uns bei digitaler Kommunikation bleibt, ist das Vertrauen in unsere Kommunikationspartner und unsere Infrastrukturanbieter. Für Chats hat sich Facebook da ziemlich disqualifiziert, aber es gibt ja genug andere, denen man vielleicht mehr Vertrauen entgegenbringt.

Über tante

Sociotechnologist, writer and speaker working on tech and its social impact. Communist. Feminist. Antifascist. Luddite.
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17 Antworten zu Es geht um Vertrauen

  1. Pingback: Es geht um Vertrauen… | tante's blog

  2. gsohn schreibt:

    Reblogged this on Ich sag mal.

  3. nk schreibt:

    Dem ePost-Brief z.B. LOL

  4. bier schreibt:

    Verschlüsselung mit OTR funktioniert inzwischen erstaunlich unhakelig. Könnte natürlich noch besser, klar. Es ist das alte Problem: Die Leute haben sich auf FB eingerichtet und sind zu bequem sich davon zu emanzipieren. Nicht alle, aber die Masse. Schätze es braucht noch einige Major Fuckups seitens FB bis sich was ändert.

    • tante schreibt:

      OTR geht mittlerweile wirklich ganz OK, aber es hat zwei Probleme:
      a) viele Menschen wissen nicht, dass man den Facebook Chat auch mit einem Client nutzen kann (und wundern sich, warum ich „immer online“ bin)
      b) man dann plötzlich seine Chats _nur_ noch im Client lesen kann und das Webinterface und die mobile App nicht mehr taugen.
      Aus den Gründen wird sich das wohl nicht so recht durchsetzen (wie es das ja auch sonst kaum getan hat)

  5. dot tilde dot schreibt:

    man kann ihnen jetzt nur nicht mehr vertrauen, dass sie es für sich behalten. und das ist das problem hier.

    oder aber der beginn der lösung. falls man es noch nie konnte.

    .~.

  6. f schreibt:

    „Ich denke auch nicht, dass uns ein Gesetz an dieser Stelle hilft: Sicherlich kann man ein solches Gesetz schreiben und alle Anbieter verpflichten, 1zu1 Kommunikation nicht nach außen weiterzuleiten, doch ist der Bruch dieses Gesetzes oft kaum feststellbar.“

    Man könnte aber die so gewonnenen Daten nicht zur Strafverfolgung heranziehen.

    • markus_eserver schreibt:

      Ach, solange die Ergebnisse aus Rechtswidrigen Hausdurchsuchungen verwendet werden dürfen, würde ich mir von einem Verbot nicht allzu viel erhoffen.

      Lieber starke Crypto verwerden. Staatliche Verbote geben nur eine scheinbare Sicherheit.

  7. Pingback: Aktuelles 17. Juli 2012 — neunetz.com

  8. Pingback: Aus Liebe zum Telefon verschläft man die Trends der Netzkommunikation: Die Wiederbelebung der Schriftkultur | Ich sag mal

  9. RAStadler meint dieser Vorgang ist bereits durch das TKG abgedeckt. http://www.internet-law.de/2012/07/brauchen-wir-ein-telemediengeheimnis.html Insofern gibt es bereits ein Gesetz, was aufgrund des US-Standorts von Facebook nur unzureichend durchgesetzt werden kann.

  10. Martin Thielecke schreibt:

    Und jetzt geht’s los, dass Menschen denken: „Na, mir ja egal, ich nutze fuer meine wichtigen Sachen immer Skype – da hat Facebook keinen Zugriff drauf“. Und da kommen wir an dem Punkt an, dass die Menschen von Kopf bis Brett denken.
    Du hast zwar oben erklaert, dass das Medium immer das Problem sein wird, aber solange man nicht Produkte nennt, die „sicher“ sind oder alle Produkte auflistet, ueber die wichtige Chats gefuehrt werden, werden Menschen weiterhin auf-Teufel-komm-raus ihre Dinge mithilfe eines digitalen Mediums nicht darueber nachdenken, dass auch Chats, die sie mit ihren Freunden fuehren nicht immer in die Oeffentlichkeit sollten.

  11. mthie schreibt:

    Und jetzt geht’s los, dass Menschen denken: ”Na, mir ja egal, ich nutze fuer meine wichtigen Sachen immer Skype – da hat Facebook keinen Zugriff drauf”. Und da kommen wir an dem Punkt an, dass die Menschen von Kopf bis Brett denken.

    Du hast zwar oben erklaert, dass das Medium immer das Problem sein wird, aber solange man nicht Produkte nennt, die ”sicher” sind oder alle Produkte auflistet, ueber die wichtige Chats gefuehrt werden, werden Menschen weiterhin auf-Teufel-komm-raus ihre Dinge mithilfe eines digitalen Mediums nicht darueber nachdenken, dass auch Chats, die sie mit ihren Freunden fuehren nicht immer in die Oeffentlichkeit sollten.

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  13. Voretta schreibt:

    Reblogged this on -zwischenruf- und kommentierte:
    Warum ich gerade ziemlich froh bin, schon seit Längerem kein Facebook mehr zu benutzen, und hoffe, dass noch weitere meiner Bekannten und Freunde ihre Profile da demnächst löschen werden:

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