Facebook Graph Search

Die Firma Facebook stellte gestern auf einem Pressevent ihr neues Produkt vor. Wie zu erwarten war, ist es der Untergang des Abendlandes, aber eins nach dem anderen.

Es gab vorher einige Spekulationen darüber, was Facebook ankündigen würde: Ein eigenes Telefon? Neue Partnerschaften? Doch das vorgestellte Facebook Graph Search war keines von beidem.

Graph Search bringt den Facebook Nutzern eine so genannte „semantische Suche“ und somit Zugriff auf ein mächtiges Werkzeug zur Bändigung und Nutzbarmachung einer immensen Menge von Daten. Eine semantische Suche unterscheidet sich von einer „klassischen“ Suche dadurch, dass die semantische Suchmaschine etwas über die Art der Daten, die sie durchsuchen soll weiß.

Eine klassische Suchmaschine muss an vielen Stellen raten: Ist die Zeichenkette „33“ ein Alter, eine Hausnummer, das Ergebnis einer Rechenaufgabe? Diese Einordnung ist für den oder die Benutzer/in der Suchmaschine sehr wichtig. Denn wenn ich nach „Jürgen Geuter Alter“ suche dann will ich die richtige Zahl als Antwort.

Bei einer semantischen Suche weiß die Suchmaschine, dass ein bestimmtes Datenfeld das Alter kodiert und kann deshalb präzise, ohne unpräzise Annahmen antworten. Insbesondere bei verknüpfenden Anfragen wie „Finde alle Menschen in Niedersachsen, die zwischen 20 und 50 Jahre alt sind, sich für Affen interessieren und Videospiele mögen“ erlaubt die Verknüpfung klar strukturierter Daten eine für den oder die Fragende/n eine maximal gute Antwort.

Facebook dringt hiermit durchaus auch in den Bereich der Partnerbörsen, Freundesuchmaschinen und Geschäftsnetzwerke ein: Die Suche nach gerade spannenden Menschen in einem ganz spezifischen Kontext wird plötzlich einfach und steht nahezu allen kostenlos zur Verfügung. Ein riesiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Konnektivität der Menschen untereinander und damit ein großer Schritt in Richtung einer dezentralen Vernetzung.

Hier könnte der Artikel enden, doch leider reagierte das Datenschutz-Establishment ebenso platt wie vorhersehbar. Kai Biermann  brandmarkt die Suchmaschine in der Zeit beispielsweise direkt als Rasterfahndung und gibt Thilo Weichert vom ULD gleich auch noch jede Menge Raum um generell seine üblichen Catchphrases über Facebook loszulassen. Die Gesellschaft für Informatik nutzt die PR-Gelegenheit direkt zu einer generellen Verdammung der sozialen Netzwerke (warum es eine generelle Ablehnung ist, weil Datenschutzfreundliche Netzwerke nicht funtkionieren, hat Leitmedium hier schön am Beispiel gezeigt).

Ganz vom eigenen Dogma überzeugt predigen die üblichen Verdächtigen davon, wie böse soziale Netzwerke sind, und dass die Menschen sie bloß nicht nutzen sollen. Der abstrakten Gefahren wegen (Antiterrorrhetorik, ik hör dir trapsen!).

Doch Facebook macht hier jetzt nicht plötzlich „private“ Daten durchsuchbar sondern nur die, die die Nutzer eh schon öffentlich geschaltet haben. Für die Suche in diesen Daten stellt Facebook seinen Nutzern nun eine massiv effizientere und einfacher zu benutzende Möglichkeit zur Verfügung, um ihre Umwelt, ihr soziales Umfeld zu erkunden und Wert für sich zu schöpfen.

Sicherlich nicht aus Wohltätigkeit. Facebook hofft, durch diese Suchmaschine die Menschen dazu zu bringen, mehr von sich zu veröffentlichen um besser gefunden zu werden (denn durch die Suchmaschine werden potentiell noch viel mehr Menschen den Wert der Verbindbarkeit erkennen). Des weiteren ist es eine Möglichkeit, Nutzer in der eigenen Platform zu halten und sie eben nicht fürs Suchen an die Konkurrenz Google zu verlieren.

Doch in der Nettobetrachtung gewinnen hier beide: Facebook kann mehr über seine Nutzer lernen um potentiell präziser Werbung schalten zu können und die Nutzer sind endlich in der Lage, die Datenmenge, die Facebook enthält, zu benutzen. Die einzigen Verlierer sind die Menschen, die ihre Mitmenschen am liebsten isoliert und weiterhin abhängig vom „väterlichen“ Ratschlag sehen wollen.

Über tante

Sociotechnologist, writer and speaker working on tech and its social impact. Communist. Feminist. Antifascist. Luddite.
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5 Antworten zu Facebook Graph Search

  1. Muriel schreibt:

    Ich habe zwar noch keine Möglichkeit gefunden, über derart fassbare Kriterien spannende Menschen von unspannenden zu unterscheiden, stimme aber ansonsten vollständig zu.

  2. Pingback: Hände weg von Ostwind: Was Herr Weichert vom Wetterbericht lernen kann « Erich sieht

  3. Der Vorgang illustriert hervorragend, wie krank die Datenschutzideologie ist: Es geht hier um Daten, die öffentlich sind, die aber bisher nur kleinen verdeckt operierenden Gruppen effektiv nutzen können. Diese Gruppen – z.B. Werbetreibende, die damit Menschen manipulieren und Geheimdienste, die sie überwachen – agieren meinem Empfinden nach eher gegen das Gemeinwohl. Wenn diese Informationen nun für alle nutzbar gemacht werden, gibt es einen Aufschrei.
    Das ist meiner Ansicht nach ein immer wiederkehrendes Muster. Informationsschranken nutzen immer irgendeiner kleinen Gruppe, i.d.R. nicht denen mit den größten ethischen Vorbehalten. Und wenn man die Vorteile für die Finsterlinge beseitigen will, schreien die Aluhüte.

  4. Torben schreibt:

    Der 22-jährige Sven B. wurde heute zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen, weil er keinen Account bei dem sozialen Netzwerk Facebook hat. Zuvor hatten Freunde die Gesundheitsbehörden alarmiert, weil sie sich wegen des asozialen Verhaltens des jungen Mannes große Sorgen machten.
    „Der arme Sven“, schreibt Sylvia R., eine gute Freundin von B., in ihrer Facebook-Timeline. „Er war immer so fröhlich und hat behauptet, er bräuchte kein Facebook, um mit seinen Freunden zu kommunizieren. Wir haben alle gewusst, dass das nicht stimmen kann. Wie soll denn das gehen?“ Viele von Sylvias 489 Facebook-Freunden bestätigten dies umgehend mit „:-(„, „(o_O)“ oder „Gefällt mir“.
    Svens Freunde hätten ihn gern einfach hinzugefügt
    Dabei gab es überhaupt keinen offensichtlichen Grund, warum Sven B. kein Mitglied des sozialen Netzwerkes war. Seinen Freunden zufolge verfügte er über ein profilfotogenes Äußeres, einen internetfähigen Rechner und zwei gesunde Hände, mit denen er seine Timeline sieben Mal am Tag hätte aktualisieren können.
    Nun sitzt Sven B. in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Anstalt und bekommt starke Medikamente.
    Sein behandelnder Arzt sagt: „Wäre der Patient über 30 gewesen, dann hätten wir ihn nicht aufgenommen, sondern nur beobachtet. Immerhin wären dann viele seiner Altersgenossen ebenfalls nicht bei Facebook gewesen. Aber ein 22-jähriger, der nicht bei Facebook oder wenigstens Xing, Twitter oder Google+ ist, gilt als stark verhaltensauffällig – oder wie der Laie es nennt „verrückt“.“
    Sven B. darf die psychiatrische Anstalt laut Behördenangaben erst wieder verlassen, wenn er sein Fehlverhalten eingesehen hat. Es reicht allerdings nicht, dass der junge Mann einfach nur einen Facebook-Account anlegt. Er muss mit regelmäßigen Statusupdates, aufdringlichen Freundschaftsanfragen bei Leuten, die er gar nicht kennt, und geöffneten Glücksnüssen beweisen, dass er ihn auch wirklich nutzt.

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