Utopie und Feigheit – Oder: Warum ich spackeresk bin.

Utopie und Feigheit

Oder: Warum ich spackeresk bin.

von @laprintemps, erstveröffentlich unter http://juliaschramm.de/blog/uncategorized/utopie-und-feigheit/

Ein Radikaler ist ein Mensch, der mit beiden Beinen fest in der Luft wurzelt.
(Franklin Roosevelt)

Ein Gespenst geht um in der westlichen Hemisphäre und den Ländern, die ebenso durchmodernisiert sind: Der digitale Kontrollverlust. An allen Ecken lauert er und versucht das Recht auf digitale Selbstbestimmung zu begatten. Zugegeben macht er ihr schöne blaue Augen, er stiftet trügerisches Vertrauen und gaukelt eine neutrale Funktionalität vor. Wie ein Schleier legt er sich über die Möglichkeiten und Chancen des digitalen Zeitalter und hinterlässt, was er eben so zu hinterlassen hast: Angst.

Plötzlich enstehen echte Spuren der Persönlichkeit, nachvollziehbar und oftmals erst auf den Hinweis von Bekannten oder durch das verruchte Selbst-Googlen findbar. Hat der Kampf des Datenschutzes als Abwehrrecht gegen den Staat recht erfolgreich funktioniert, ist der Kampf gegen das Gedächtnis des Internets ein Kampf gegen Windmühlen, der nicht staatlicher Natur sein darf. Der Trend sein Leben zu digitalisieren bedeutet das Private öffentlich zu machen und somit politisch. Raum für das Private ist da – jedoch nicht im Web 2.0. Surfe ich anonym, so muss ich in den zahlreichen sozialen Netzwerken der digitalen Sphäre auf eine Vernetzung mit Freunden verzichten: Zeig’ mir deine Freunde und ich sag dir wer du bist bekommt an dieser Stelle eine völlig neue Dimension. Meine Personalausweisidentität sagt gar weniger über mich aus, als dass was ich äußere, was ich mag und mit wem ich meine Nachrichten teile.

Realität ist der Sumpf des schwarmintelligenten Gedächtnis bereits – die Frage nach dem Umgang mit der neuen Situation jedoch umstritten und diffizil. Die Angst davor, dass die eigene Haussfassade, Teil des kulturellen Erbes einer Stadt, Geheimnisse preisgibt oder angreifbar macht ist jedoch absolut paranoid.

Integrität fordern und fördern

Teil dieser Realität ist nun auch, dass das Produzieren von Leichen im Keller wesentlich kompliziertert, das Verstecken dieser Leichen nun denn so gut wie unmöglich geworden ist. Auch wenn der Fall Guttenberg abgedroschen ist, so zeigt er doch exemplarisch, wie wenig elitäre Teile der Bevölkerung die Konsequenz des Internets wahrzunehmen fähig waren und vermutlich noch sind. Doch muss das wesentlich als Chance begriffen werden, einen wirklich transparenten Staat zu schaffen. Dass dies auch die Transparenz der Akteure bedeutet ist ein Schritt, den viele noch nicht geistig gegangen sind. Und für die politischen Akteure heißt dies, ihr Handeln und die möglichen Konsequenzen radikaler zu Ende zu denken. Doch wer im öffentlichen Raum politisch agieren will, darf nicht anonym sein, darf nicht Teile seiner Identität löschen oder löschen lassen, sondern muss vielmehr mit dem Getanen leben lernen. Anonymität und politische Verantwortung schließen einander aus. Vergebung ist hierbei wohl das entscheidene. Vergebung gegenüber anderen, aber vor allem sich selbst. Und so ist der persönliche Anspruch der Post-Privacy auch eine Art Selbstkontrolle.

Privatheit ist ein Schutz – vor mir selbst und der Öffentlichkeit. Vor Anfeindung, Peinlichkeiten, vor Bloßstellung und der Reflektion mit mir selbst. Was ich nicht laut aussprechen muss, ist nicht real, ist nicht echt, ist mir nicht zu eigen. Was ich nicht ausspreche, sprechen auch andere nicht aus, sprechen andere nicht an, können andere nicht gegen mich verwenden. Solange wir in einer Welt leben, wo dies notwendig zu sein scheint, ist es umso wichtiger die Utopie einer Welt zu formulieren, in der Privatheit nicht als Schutz vor der Willkür anderer existiert. Ansonsten bleibt nur die Hoffnung auf Ignoranz der anderen und der Mut im Zweifel mit der Inkohärenz der eigenen Person zu leben.

Als jemand, der von jeher sehr offen mit seinem Leben, seiner Person und seinen Fehlern umgegangen ist und umgehen konnte, fallen mir solche Aussagen leicht, denn ja, ich akzeptiere mein früheres Ich, meine Identität 2.0 – im vollem Umfang. Leicht ist dieser Schritt nicht – verlangt er doch nicht weniger als mit sich selbst ins Reine zu kommen, sich mit allen Facetten lieben zu lernen. Doch in den Zeiten der totalen Vernetzung sind wir zunehmend dazu gezwungen uns dieser Realität – nämlich der Ganzheit unserer Persönlichkeit – zu stellen. Hat lange genug gedauert.

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12 Antworten zu Utopie und Feigheit – Oder: Warum ich spackeresk bin.

  1. Cue Cumber schreibt:

    Ihr dummen Internet-Exibitionisten!!

  2. @schwachstruller schreibt:

    Dieser radikale Denkansatz ruft Fragen auf. Wenn es Firefox und mittlerweile sogar Facebook (mit der Pistole auf der Brust) es mir ermöglichen, meine Privatsphäre besser zu schützen, wie kann ich da „gezwungen“ sein, mich unserer Realität der totalen Vernetzung zu stellen indem ich meine Privatsphäre eben nicht mehr schütze?
    Und: Verlust von Privatsphäre bedeutet für mich nicht nur peinliche Partyfotos als ich 20 war, nicht nur: Wie verhindere ich, dass meine Tochter in 20 Jahren meine Tweets liest und erfährt das sie kein Wunschkind war? Sondern auch: Gefährdung des Arbeitsplatzes und der Existenz durch Denunzianten im Kollegenkreis oder fremde Kriminelle. Das Prinzip der „Vergebung“ ist auf Fotos von Betrunkenen anwendbar, aber nicht auf alles, was sich m.E. zu schützen lohnt. Ich freue mich auf eine Antwort.

    • Bastian schreibt:

      Was du dagegen tun kannst, dass deine Tochter in 20 Jahren rausfindet, dass sie ein Unfall war, deine Kollegen dich denunzieren oder Kriminelle irgendwas ausnutzen? Eric Schmidt würde dir empfehlen die Dinge, die dann gegen dich verwendet werden einfach nicht zu tun: Also niemanden zu schwängern. 😉

      Aber mal ernsthaft: Sowohl deine Tochter, deine Kollegen als auch die Kriminellen kommen an all die Informationen die sie benötigen vor allem deshalb heran, weil du selbst sie irgendwann im Netz publiziert hast. Die Verbreitung von Informationen, sobald sie einmal im Netz sind, lässt sich rein technisch nicht mehr wirklich aufhalten. Die Content-Industrie merkt das beim Filesharing & Co und auch der so gern herbeigeschworene Streisand-Effekt leben doch genau davon, dass sich Informationen nicht mehr aus dem Netz entfernen lassen. Das sind imho einfach die Tatsachen die man sich vor jeder Veröffentlichung von Daten klar machen sollte.

      Problematischer wird es dann, wenn andere Leute Informationen über einen ins Netz blasen, da die technischen Mechanismen die gleichen bleiben, aber eben kein Einverständnis des betroffenen automatisch vorhanden ist.

  3. Tox schreibt:

    Danke für das Spiegel-Interview. Du hast mir meine Wahlentscheidung vereinfacht. Piratenpartei ist raus.

  4. Arnulf Netzlos schreibt:

    Ich freu´mich schon auf den Tag, an dem sich so aufgeklärte, zukunftsvisionäre,
    und naive Menschen wie Du Ihre ach so 80er mäßige, uncoole Privatsphäre
    zurückwünschen. Der Zeitpunkt wird kommen….
    Eigentlich kannst Du einem leid tun.

  5. franziska schreibt:

    hallo,

    mich würde mal interessieren, welche optionen es aus eurer sicht für leute gibt, die sich persönlich (noch) nicht zu diesem schritt entschließen wollen – auf der einen seite heisst es an allen ecken und enden, dass man quasi moralisch verpflichtet ist, sich auf das web 2.0 einzulassen (hat nicht kürzlich die uni illmenau bei einer studie zur alltagstauglichkeit deutscher politiker als kriterium zugrunde gelegt, ob sie in facebook ausreichend aktiv sind?!) und auf der anderen seite lese ich hier, dass ich mir *wenn* ich im web 2.0 unterwegs bin, jegliche form von privatsphäre nunmal abzuschminken habe.

    da ihr ganz offensichtlich mit gewalt und diktatur nichts am hut habt, könnt ihr mir doch bestimmt aufzeigen, wie ich aus der nummer herauskomme, wenn und solange ich das mit der privatsphäre anders sehe als herr zuckerberg und frau schramm.

    beste grüße

    • fasel schreibt:

      @franziska:
      dass man sich Privatsphäre abschminken kann, bestrifft langfristig nicht nur Facebook und andere Web2.0-Dienste, sondern noch ganz andere Bereiche. Überall wohin die Vernetzung vordringt. Ich habe das in einem Beitrag beschrieben, da bekommt man eine Idee wo es hingeht.

      Heute kann man noch weitestgehend über seine Daten selbst verfügen und Facebook und andere große Dienste bieten feinkörnige Datenschutzeinstellungen. Man sollte sich nur nicht in falscher Sicherheit wiegen. Garantiert und verbindlich sicher sind die Daten nicht, das muss man sich halt bewusst machen. Mit dem Wissen kann man abwägen, ob man das Risiko eingehen will oder nicht. Die Dienste bieten eben auch Vorteile: Vernetzung mit Menschen die eigene Interessen teilen, Kontakt mit Freunden/Bekannten halten, Reichweite und Bürgerkontakt (als Politiker). Und man muss auch mal das Risiko hinterfragen. Was ist das Schlimmste was passieren kann wenn Daten über einen rauskommen? Ist das Szenario realistisch? usw…

      Auf lange Sicht kommt man aus der Nummer nicht raus, davon bin ich überzeugt. Aber wenn man sich bewusst herantastet, kann man sich die Vorteile der vernetzen Welt zunutze machen.

      • franziska schreibt:

        ich versteh das ganze nicht.
        vielleicht bin ich zu alt, zu wenig technik-affin, oder ich hab einfach den schuss nicht gehört.
        aber mir scheint, dass jetzt noch nicht der zeitpunkt ist, wo leute wie ihr sinnvollerweise die machtfrage stellen könnt.

        es mag ja sein, dass ihr euch ein leben ohne internet nicht vorstellen (und auch nicht organisieren) könntet, es ist fraglos so, dass ihr als digital natives darin bewanderter und darüber besser informiert seid als wir älteren, und es liegt angesichts der zentralen rolle, die es für euren alltag spielt, nahe, dass ihr empört seid, wenn sich jemand anschickt, diesbezüglich irgendwelche einschränkungen auf den weg zu bringen.

        aber für den schritt von „das-und-das-braucht-doch-keiner“, „das-und-das-weiß-doch-jeder“ und „ohne-das-geht-doch-nichts“ als einer auf euch völlig zutreffenden, aber dennoch egozentrischen partikularsicht zu einem allgemeinen anspruch „sämtliche ideen aus der analogen zeit haben zusammen mit ihren vertretern ausgedient, ab jetzt sagen wir, wo es langgeht, und zu den schmalen und steinigen pfaden, die wir noch offenlassen, gibt es auch ab sofort keine alternativen mehr“ ist es hoffentlich noch eine weile hin.

        und bis dahin hat sich das problem ja vielleicht anderweitig gelöst, denn wenn die eltern der nächsten piraten-generation mehrheitlich geschwister sind, dann werden wahrscheinlich sogar solche fossilien aus der anlaogen zeit wie ich mit ihnen fertig 😉

  6. Redfield schreibt:

    Das ist Satire, oder?

    • Cue Cumber schreibt:

      Hoffentlich! Weil immerhin wissen wir ja jetzt, wie die Leute aussehen, wo sie wohnen, wie sie heißen… Dann steht einem „Besuch“ ja nichts mehr im Wege. Nur dass ich garantiert nicht meinen Namen preisgeben werde und auch keine Bilder von mir im Netz dulden werde.

      Die Piratenpartei ist seit heute für mich gestorben. Danke an Spiegel Online für den Artikel.

  7. Slow3000 schreibt:

    Ich finde, dass sowohl in diesem Blogeintrag als auch im Interview mit Spiegel Online das Thema Datenschutz viel zu undifferenziert betrachtet wird. Es ist falsch, den Datenschutz allgemein mit der von den grossen Parteien und den traditionellen Medien geschürten Hysterie der grossen Parteien um Google Street View oder den digitalen Radiergummi gleichzusetzen. Diese waren doch bewusst platziert, um oberflächlich Bemühungen beim Datenschutz zu zeigen, während Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren grösstenteils unbeachtet weiter vorangetrieben werden.

    Auch bleibt hier unerwähnt, dass es beim Datenschutz beziehungsweise der Privatsphäre eben nicht unbedingt um die Daten geht, die man selber ins Netz stellt oder die ohnehin bereits öffentlich zugänglich sind, sondern vielmehr um jene, die von Dritten (Scoring-Agenturen, Krankenkassen, Banken) meist still und heimlich erhoben, genutzt und vermarktet werden. Zwar mag es eine angenehme Vorstellung sein, dass wir eines Tages in einer Welt leben könnten, in dem es keine Diskriminierung und Repressionen aufgrund dieser Daten gibt. Jedoch ist dies, wie der Titel des Eintrags schon sagt, eine Utopie. Das Akzeptieren alles Facetten der Persönlichkeit, sei sie auch um der persönlichen Entwicklung Willens wünschenswert, hilft herzlich wenig, um aus dieser Utopie eine realisierbare Vorstellung zu machen.

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