Warum freies Internet wichtiger ist als fliegende Autos

Der Artikel Censorship, Governments, and Flagellating Google von Lauren Weinstein, ist es wert gesondert drauf einzugehen. Er stellt einige Punkte heraus, warum die Freiheiten im Internet gerade von allen Seiten bedroht werden und auch welche Rolle die Entwicklung der Datenschutzgesetze dabei spielen. Und warum die Kulturtechnik Internet in einer möglichst freiheitlichen Form so erhaltenswert ist.

»While much of the 21st century still resembles the 20th in significant ways (we’re still waiting for those flying cars), the ability to ask a random question to a small device stored in your pocket or purse, and to usually get an accurate answer back within a few seconds, is a concept that even most celebrated futurists of the past didn’t foresee.«

Das Internet ist eben nicht nur eine Weiterentwicklung eines Technologiestranges, wie das fliegende Auto es wäre, sondern etwas grundlegenderes; es ist das Betriebssystem des 21. Jahrhunderts.

»[…] governments around the world, increasingly thrashing about for a way to control access to data that they’d prefer their citizens be unable to see, hear, or otherwise use […]. It wasn’t always this way. For many years, the Internet was pretty much ignored not only by governments but by much of private industry as well, viewed essentially as the silly toy of academics and computer geeks.«

Die „geeks“ konnten lange Jahre das Netz relativ frei gestalten und eigene Kulturen entwickeln und ausprobieren. Sogar nachdem die breite Gesellschaft das Netz für sich entdeckte, dauerte es lange, bis Regierungen und Konzerne realisierten, welche Entwicklung sie da verpennt haben. Dort arbeitet man jetzt mit Nachdruck daran das nachzuholen und wieder ein Fuß in die Tür zu bekommen. Wie Konzerne und ihre Interessenvertretungen (wie die Verbände der Contentindustrie) auf das Netz einwirken, bekommt man deutlich zu spüren („Dieses Video ist leider nicht verfügbar“, um nur ein Beispiel zu nennen), aber auch Regierungen selbst wirken immer stärker auf das Netz ein.

»Efforts to “harmonize” international laws in such spheres — copyright, privacy, and so on — have been and continue to be in progress. They are generally to be applauded in concept at least — but the very real risk exists that the process may be used to entrench the lowest common denominator, most restrictive control regimes on a universal basis, rather than the minimally necessary ones.«

Das ist genau der Punkt warum ich die Entwicklung der Datenschutzgesetzgebung, mit Bezug auf das Internet, so kritisch sehe. Zumindest in Netzaktivistenkreisen wird Bestrebungen nach stärkeren Ahndung von Urheberrechtsverstößen (nicht so erfolgreich) oder Einführung von Zensur- und Überwachungsinfrastruktur (sehr erfolgreich, mit Kippung von Zensursula und Vorratsdatenspeicherung), deutlich begegnet. Stärkerer Datenschutz wird aber pauschal beklatscht, weil es ja erstmal gut klingt. Dass man da aber letztlich den Türöffner für restriktive Maßnahmen beklatscht, die man vorher bekämpft hat, scheint man nicht zu realisieren.

An der Stelle ist das sogenannte „Recht auf Vergessen“ zu nennen, auf das sich der Artikel auch bezieht. Was konkret hinter diesem „Recht“ steckt ist noch nicht raus, aber es zeichnet sich, sowohl ein selektives Löschinstrumentarium für missliebige Inhalte, als auch ein Kontrollinstrument (lies: Zensur) über die Suchmaschinenergebnisse, ab. Letzteres haben die Jugendschützer der BPjM schon in der Hand, wie ich im Artikel zu isharegossip schonmal dargelegt habe. Das „Recht auf Vergessen“ wird aber gerade multinational auf den Weg gebracht: In deutschen Datenschutzkreisen kursiert die Idee schon länger, Spanien bringt es vor den EuGH und Sarkozy in die G8.

»In other words, if you don’t like the message, attempt to throttle and censor the messenger … the search engine … Google.«

Der aktuelle Trend ist den Kontrollhebel bei Providern und Diensteanbietern anzusetzen, deren Neutralität, bezüglich der Inhalte, bislang Konsens war und letztlich das Internet zu dem gemacht hat was es heute ist. Denn, Inhalte an der Quelle zu entfernen ist aufwändig und auch nur möglich, wenn diese im Ursprungsland strafbar oder geächtet sind. Und selbst wenn das der Fall ist, wendet man sich lieber Richtung Provider, wie man bei Zensursula gesehen hat. Andere Vorstöße wie ACTA, HADOPI, GlüStV, „Europa-Net“ zeigen das gleiche Bild und beim „Recht auf Vergessen“ zeichnet es sich eben auch ab. Sehr gut auch das aktuelle Beispiel der Domainbeschlagnahme in den USA, wo just Mozilla, als Hoster eines Firefox-Plugins zur Umgehung dieser Maßnhame, von US-Behörden angegangen wird.

Wenn man sich ein freies Netz bewahren will, muss man hellwach sein und sich diesen Bestrebungen entgegenstellen. Der Datenschutzkeule ist da genauso zu begegnen, wenn sie sich gegen fundamentale Freiheiten richtet, was sie im Kontext der aktuellen Entwicklungen durchaus tut.

Schließen möchte ich mit den Worten Weinsteins, deren Pathos die Wichtigkeit nochmal unterstreicht:

»With the Internet already significantly integral to most aspects of communications around the planet — a situation that will only be ever more true over time — governments’ efforts to censor and control Internet content arguably represent the most critical free speech issue, and in the long run, civil liberties issue for perhaps decades or more to come.

We are at the crossroads. Now is the time when we must decide if the Internet will continue its role as the most effective tool for freedom of information in human history, or if it will be adulterated into a mechanism for the suppression of knowledge, a means to subjugate populations with a degree of effectiveness that dictators and tyrants past could not even have imagined in their wildest dreams of domination.

The choice is ours to make. Choose wisely. There likely won’t be a second chance to get this right.«

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9 Antworten zu Warum freies Internet wichtiger ist als fliegende Autos

  1. Nils Hitze schreibt:

    In einem Wort zusammengefasst: Danke!

    Teilen, verbreiten, RTen, Liken, +1en, weitergeben. Und vor allem. Diskutieren, nachdenken und KÄMPFEN!

  2. Flexi schreibt:

    Einspruch.
    Überwachung ist für mich das Gegenteil von Datenschutz.
    Nur die Abschaffung sämtlichen Datenschutzes (den ihr wohl fordert?), ermöglicht eine lückenlose Überwachung.
    Nur, wenn niemand meine Daten sammelt, ist sichergestellt, daß man mein Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beschneiden KANN.

    • fasel schreibt:

      Erstmal: Es wird keine Abschaffung gefordert, sondern die kritische Betrachtung der aktuellen Situation und Entwicklung.

      Das Gegenteil von Überwachung ist keine Überwachung. Die Überwachungsgesetze der letzten 10 Jahre wurden durch Datenschutz nicht verhindert. Wenn, dann durch Widerstand der Zivilgesellschaft oder weil sie jeden verfassungsrechtlichen Rahmen gesprengt hatten.

      Dass *niemand* deine Daten sammelt ist realistätsfern. Gerade bei Kommunikation über das Internet, muss man immer davon ausgehen, dass eine Speicherung der Daten stattfindet. Auch gibt es sehr viele Arten freie Meinungsäußerung zu unterdrücken, unabhängig von Datensammlungen.

    • Fred Krug schreibt:

      Zitat
      Nur, wenn niemand meine Daten sammelt, ist sichergestellt, daß man mein Recht auf freie Meinungsäußerung nicht beschneiden KANN.
      Zitat Ende

      Gegenrede:

      Meinungsäußerungsfreiheit ist die Freiheit, einerseits den Inhalt seiner Äußerung selbstbestimmt zu formen und andererseits die äußere Form in Wort, Bild und Medium zu bestimmen.
      Eine Meinung, die ohne personenbezogenes Datum erfolgt, ist „einfach nur ein Satz“, von irgendwem, irgendwann, irgendwo aufgegeben. Nicht mehr. Was ist eine Meinung wert, die nicht einer einzelnen natürlichen Person zugeordnet werden kann? Genau: Nichts. Denn es ist dann fraglich, welche Wirkung erzielt werden soll und welcher Gehalt in der Meinung zu finden ist.

      Letztlich ist eine Meinungsäußerung Ausdruck der individuellen Persönlichkeit eines selbst. Deshalb steht es im eigenen Interesse, „seine“ Meinung auch so zu entäußern, dass sie „ihm“ zugeordnet werden kann.

      Wenn Du also eine Meinungsäußerung ohne irgendein Identifikationsmerkmal – minimal ein Pseudonym – verwendest, ist es keine Meinung mehr. Sondern nur eine Wortsammlung, die wie zufällig irgendwo auftaucht. Wenn Du eine Meinungsäußerung mit irgendeinem Identifikationsmerkmal – minimal ein Pseudonym – vornimmst, wird diese Meinung mit einem personenbezogenen Datum versehen und, sofern es nicht das gesprochene Wort allein ist, irgendwo gespeichert. Erst dadurch gewinnt diese Meinungsäußerung auch ihren Wert als Meinungsäußerung, da sie eine Wirkung entfaltet, und damit ihren berechtigten Stellenwert in der Kommunikation, weil sie nämlich eine Wirkung entfaltet – sie ist mit einer Persönlichkeit verknüpft, und das erkennbare Persönlichkeitsbild gibt der Meinungsäußerung erst ihre Wirkung.

      Das zeigt, dass ein Minimum an Datenerhebung, -speicherung und -weitergabe notwendig ist, um Deine Grundfreiheit des Ausdrucks Deiner Persönlichkeit in Form einer Meinungsentäußerung überhaupt zu gewährleisten.

      Ich pflichte Dir insofern nur insoweit bei, als ein Zuviel an Datenherbung, -speicherung und -verarbeitung Probleme bereitet.

  3. (fake) mspro schreibt:

    Schöner versuch den redlichen Kampf gegen Zensur in euren Kampf gegen Privatheit einzubinden. Nur sehe ich die konkrete Verknüpfung zwischen dem Abwehrrecht informelle Selbstbestimmung einer PERSON und den psudorechten eines Konzerns nicht so. Ich kann durch Datenschutz das eine schützen und das andere Offenlegen. Durch Post privacy ist es genau anders. Persönliche Daten liegen offen und Firmen werden geschont.

  4. Pingback: Aktuelles 9. Mai 2011

  5. Strogg schreibt:

    Sehr wichtige Sache. Schön, dass das mal explizit angesprochen wird.

    Statt echtem Datenschutz, wo es sinnvoll und machbar ist, wird scheinbarer Datenschutz als Zensurausrede benutzt.
    Identisch mit „Jugendschutz, da haben wir schon den Salat.

    Ich glaub wir brauchen noch eine jugendschutzkritische Spackeria
    Der wird dann genauso vorgeworfen, Kindern Pornos aufdrücken zu wollen, so wie irgendwelche Trolle und dumme Journalisten behaupten, man wäre „gegen Datenschutz“.

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